Rede bei Einweihung des Europäischen Kulturerbesiegels in der KZ-Gedenkstätte in Mannheim-Sandhofen

Veröffentlicht am 15.07.2018 in Aktuelles

Die Rede im Wortlaut:

Sehr geehrte Damen und Herren,

Was vereint Europa? 

Es gibt ganz offensichtliche Antworten auf diese Frage. Die unzähligen ERASMUS-Studenten an europäischen Partneruniversitäten vereinen Europa etwa. Oder der Euro mit dem wir in 19 europäischen Ländern zahlen können vereint Europa auf seine Weise auch. Wir sind heute hier zusammen gekommen, weil es noch etwas weniger augenscheinliches, aber umso grundlegenderes gibt, das Europa eint: geteilte Erinnerungen, die ein gemeinsames europäisches Gedächtnis bilden. 

In Erinnerung bleibt ein Europa, das über Jahrhunderte in kriegerische Auseinandersetzungen verwickelt war und mit dem 2. Weltkrieg im letzten Jahrhundert ein besonders dunkles Kapitel erlebte. Der Ort an dem wir zusammen gekommen sind, ist Zeuge dieses dunklen Kapitels. Hier im Lager in Sandhofen waren Zwangsarbeiter inhaftiert, die bei Daimler-Benz für Nachschub für den Krieg zu sorgen hatten. Ein KZ mitten im Wohngebiet und damit Teil des gesellschaftlichen Lebens. 

Zugleich ist dieser Ort Ausdruck der europäischen Dimension der Gräuel der Nazis. Das Außenlager ist Teil eines KZ-Komplexes, dessen Hauptlager in Natzweiler auf annektiertem französischen Boden errichtet wurde. Die Häftlinge kamen aus ganz Europa und gehörten 30 Nationen an, überwiegend handelte es sich um Widerstandskämpfer gegen die Nazis. Das Grauen macht vor Grenzen nicht halt. Europa darf das niemals vergessen.

 

 

Dafür ist Erinnerungsarbeit unverzichtbar. Was sich banal anhört, muss aber erst einmal realisiert und bewahrt werden, insbesondere wenn die Zeit und damit das Vergessen gegen einen arbeitet. Die Außenlager in Deutschland sind als Kulturdenkmäler zu Gedenkstätten geworden, aber ohne das entsprechende ehrenamtliche Engagement der Zivilgesellschaft wäre das nicht denkbar gewesen. Auch im Falle des Lagers hier in Sandhofen musste sich die Zivilgesellschaft erst gegen Widerstände durchsetzen, um die Gedenkstätte zu bewahren, die anders als das Hauptlager in Frankreich mitten in der Stadt lag.

Ein Motor der Erinnerungsarbeit ist aber nicht nur das ehrenamtliche Engagement in Deutschland, sondern die über 10 Jahre gewachsene, grenzüberschreitende Zusammen-arbeit mit der französischen Gedenkstätte jenseits des Rheins, die in der gemeinsamen Bewerbung für das Europäische Kulturerbesiegel mündete. So konnten die separaten Erinnerungskulturen in Frankreich und Deutschland hinsichtlich des KZ-Komplexes Natzweiler mit seinen Außenlagern zueinander finden. Und erst durch solche länderüber-greifende Kooperationen kann eine europäische Erinnerungskultur entstehen, die bspw. der europäischen Dimension der Gräuel der Nazis gerecht wird. 

Die Bewerbung fand als europäisches Netzwerk statt und das Europäische Kulturerbesiegel kann nun zur Wahrnehmung einer grenzüberschreitenden Stätte gemeinsamer europäischer Erinnerungskultur beitragen. Wozu diese gemeinsame Erinnerungskultur von Bedeutung ist, kann nicht oft genug gesagt werden. Denn die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit soll uns den Weg in die Zukunft weisen.

Im Jahr 2012 hat die Europäische Union den Friedensnobelpreis erhalten, weil sie, wie es in der Begründung heißt, „von der Verwandlung Europas von einem Kontinent der Kriege zu einem des Friedens“ beigetragen hat. Zudem wird explizit auf die förderliche Wirkung der europäischen Zusammenarbeit für die Versöhnung verwiesen. Diese Entwicklungen sind nicht unumkehrbar. Den gemeinsamen europäischen Werten wie Frieden, Demokratie und Menschenrechte gingen schlimmste Erfahrungen voraus, die aber Teil eines Lernprozesses wurden.

Aber auch das Erlernte lässt sich wieder vergessen. Aber einen solchen Gedächtnisschwund kann sich Europa nicht leisten. In Anbetracht der zunehmenden nationalistischen Tendenzen auf unserem Kontinent muss daran erinnert werden, wo wir einmal standen und der Weg uns wieder hinführen kann. Auch damals zog man sich im Zuge einer sich wandelnden Welt auf einen nationalen Populismus zurück, der die vorhandenen realen Grenzen in den Köpfen noch verstärkte. Nun läuft Europa Gefahr die Uhr zurückzudrehen und längst überwundene Grenzen neu zu errichten – und zwar nicht nur die realen Grenzen, sondern auch wieder jene in den Köpfen. 

Dagegen müssen wir alle entscheiden und ohne Wenn und Aber kämpfen. Diese Verantwortung haben wir nicht nur gegenüber den Opfern in der Vergangenheit sondern auch gegenüber zukünftigen Generationen. Das Europa der Grenzen war über Jahrhunderte Anlass für Gräueltaten. Diese Gräuel der Vergangenheit und ihre Ursachen ins europäische Bewusstsein zu holen muss eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sein, zu der die Erinnerungsarbeit, die durch die Gedenkstätte Natzweiler verrichtet wird, einen zentralen Beitrag leistet.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.